15.08.2025 - von Plan International

Während sich die Hungersnot in Gaza verschärft, droht Israel mit einem Verbot grosser Hilfsorganisationen

Über 100 NGOs fordern ein Ende der Instrumentalisierung der humanitären Hilfe durch Israel. Trotz der Behauptungen der israelischen Behörden, dass es keine Beschränkungen für humanitäre Hilfe für Gaza gebe, konnten die meisten grossen internationalen NGOs seit dem 2. März keinen einzigen Lkw mit lebensrettenden Hilfsgütern liefern.

Anstatt den wachsenden Rückstau an Gütern abzubauen, haben die israelischen Behörden Anträge von Dutzenden von NGOs auf Einfuhr lebensrettender Güter mit der Begründung abgelehnt, diese Organisationen seien «nicht zur Lieferung von Hilfsgütern berechtigt». Allein im Juli wurden über 60 Anträge unter dieser Begründung abgelehnt. «Anera hat lebensrettende Hilfsgüter im Wert von über 7 Millionen US-Dollar bereitstehen, darunter 744 Tonnen Reis, genug für sechs Millionen Mahlzeiten, die nur wenige Kilometer entfernt in Ashdod blockiert sind», sagte Sean Carroll, Präsident und CEO von Anera. Durch diese Behinderung liegen Lebensmittel, Medikamente, Wasser und Hilfsgüter im Wert von mehreren Millionen Dollar in Lagerhäusern in Jordanien und Ägypten brach, während die palästinensische Bevölkerung hungert.

Viele der NGOs, denen nun mitgeteilt wurde, dass sie nicht «berechtigt» sind, Hilfe zu leisten, sind seit Jahrzehnten in Gaza tätig, geniessen das Vertrauen der Gemeinden und verfügen über Erfahrung in der sicheren Bereitstellung von Hilfe. Durch ihren Ausschluss sind Krankenhäuser ohne Grundversorgung, Kinder, Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen von Hunger und vermeidbaren Krankheiten bedroht, und die Helfer:innen selbst müssen hungrig zur Arbeit gehen.

Die Behinderung steht im Zusammenhang mit neuen Registrierungsvorschriften für internationale Nichtregierungsorganisationen (INGOs), die im März eingeführt wurden. Nach diesen neuen Vorschriften kann die Registrierung aufgrund vager und politisierter Kriterien, wie der angeblichen «Delegitimierung» des Staates Israel, verweigert werden. Die INGO warnten, dass dieses Verfahren darauf abziele, unabhängige Organisationen zu kontrollieren, ihre Arbeit zu unterbinden und humanitäre Berichterstattung zu zensieren. Diese neue bürokratische Behinderung steht im Widerspruch zum geltenden Völkerrecht, da sie die Kontrolle und Annexion der besetzten palästinensischen Gebiete durch Israel festigt.

Sofern die internationalen Nichtregierungsorganisationen nicht alle Registrierungsauflagen erfüllen, darunter die obligatorische Übermittlung von Angaben zu privaten Spendenden, vollständigen Listen palästinensischer Mitarbeiter:innen und anderen sensiblen Informationen über das Personal zur sogenannten «Sicherheitsüberprüfung» durch die israelischen Behörden, könnten viele gezwungen sein, ihre Arbeit in Gaza und im Westjordanland, einschliesslich Ostjerusalem, einzustellen und innerhalb von 60 Tagen ihr gesamtes internationales Personal abzuziehen. Einige Organisationen erhielten sogar ein Ultimatum von sieben Tagen, um Listen ihrer palästinensischen Mitarbeiter:innen vorzulegen.

NGOs haben deutlich gemacht, dass die Weitergabe solcher Daten rechtswidrig (auch nach den einschlägigen Datenschutzgesetzen), unsicher und mit humanitären Grundsätzen unvereinbar ist. In der weltweit gefährlichsten Region für humanitäre Helfer:innen , in der 98 Prozent der getöteten humanitären Helfer:innen Palästinenser:innen waren, haben NGOs keine Garantie, dass die Herausgabe solcher Informationen ihre Mitarbeiter:innen nicht weiter gefährden oder zur Förderung der erklärten militärischen und politischen Ziele der israelischen Regierung genutzt werden könnte. Heute haben sich die Befürchtungen der internationalen Nichtregierungsorganisationen bewahrheitet: Das Registrierungssystem wird nun dazu genutzt, um Hilfslieferungen weiter zu blockieren und Lebensmittel und Medikamente inmitten der schlimmsten Hungersnot zu verweigern.

«Seit der vollständigen Belagerung am 2. März konnte CARE keine der im Voraus bereitgestellten Hilfsgüter im Wert von 1,5 Millionen US-Dollar nach Gaza liefern», sagte Jolien Veldwijk, Landesdirektorin von CARE. «Dazu gehören lebenswichtige Lieferungen von Lebensmittelpaketen, medizinischer Versorgung, Hygieneartikeln, Würgesets sowie Artikeln für die Versorgung von Müttern und Säuglingen. Unser Auftrag ist es, Leben zu retten, aber aufgrund der Registrierungsbeschränkungen bleiben Zivilisten ohne die dringend benötigten Lebensmittel, Medikamente und Schutzmassnahmen.»

«Oxfam hat Waren im Wert von über 2,5 Millionen US-Dollar, deren Einfuhr nach Gaza von Israel verweigert wurde, darunter insbesondere WASH- und Hygieneartikel sowie Lebensmittel», sagte Bushra Khalidi, Policy Lead bei Oxfam. «Dieses Registrierungsverfahren signalisiert den internationalen Nichtregierungsorganisationen, dass ihre Arbeitsfähigkeit mit dem Verlust ihrer Unabhängigkeit und ihrer Möglichkeit, ihre Meinung zu äussern, einhergehen kann.» Diese Beschränkungen sind Teil einer umfassenderen Strategie, zu der auch das sogenannte «GHF»-System gehört – ein militarisierter Verteilungsmechanismus, der als humanitäre Lösung angepriesen wird. In Wirklichkeit handelt es sich um ein tödliches Kontrollinstrument, durch das seit Beginn seines Betriebs mindestens 859 Palästinenser:innen in der Nähe von «GHF»-Standorten getötet wurden.

«Das militarisierte System der Lebensmittelverteilung hat den Hunger als Waffe eingesetzt und das Leiden gezielt gesteuert. Die Verteilungen an den GHF-Standorten haben zu extremer Gewalt und Tötungen geführt, vor allem von jungen palästinensischen Männern, aber auch von Frauen und Kindern, die in der Hoffnung auf Lebensmittel zu den Standorten gekommen sind», so Aitor Zabalgogeazkoa, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Gaza. Sowohl das «GHF»-System als auch das Registrierungsverfahren für internationale Nichtregierungsorganisationen zielen darauf ab, unparteiische Hilfe zu blockieren, palästinensische Akteure auszuschliessen und vertrauenswürdige humanitäre Organisationen durch Mechanismen zu ersetzen, die politischen und militärischen Zielen dienen. Sie kommen zu einem Zeitpunkt, da die israelische Regierung ihre Militäroffensive eskaliert und ihre Besatzung in Gaza vertieft, was deutlich macht, dass diese Massnahmen Teil einer umfassenderen Strategie sind, um die Kontrolle zu festigen und die palästinensische Präsenz auszulöschen.

«Mittlerweile weiss jede:r, was die richtige, humane Antwort ist, und das sind nicht schwimmende Piers, Luftabwürfe oder die «GHF» die Antwort, um Leben zu retten, die Menschlichkeit zu bewahren und sich selbst vor der Mitschuld an einer gezielten Massenhungersnot zu bewahren, lautet: Öffnet alle Grenzen rund um die Uhr für Tausende von Lastwagen, Millionen von Mahlzeiten und medizinische Hilfsgüter, die in der Nähe bereitstehen», sagte Sean Carroll von Anera.


Wir fordern alle Staaten und Geber:innen auf

  • Israel dazu zu drängen, die Instrumentalisierung von Hilfsgütern zu beenden, einschliesslich bürokratischer Hindernisse wie die Registrierungsverfahren für internationale Nichtregierungsorganisationen (INGOs).
  • darauf zu bestehen, dass internationale Nichtregierungsorganisationen nicht gezwungen werden, sensible personenbezogene Daten unter Verstoss gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) weiterzugeben oder die Sicherheit oder Unabhängigkeit ihrer Mitarbeiter als Voraussetzung für die Lieferung von Hilfsgütern zu gefährden.
  • die sofortige und bedingungslose Öffnung aller Landgrenzübergänge und die Aufhebung der Bedingungen für die Lieferung lebensrettender humanitärer Hilfe zu fordern.

Anmerkung der Redaktion

  • Die besetzten palästinensischen Gebiete sind weltweit der gefährlichste Einsatzort für humanitäre Helfer:innen. Laut der Aid Worker Security Database sind 98 % der getöteten humanitären Helfer:innen palästinensische Mitarbeiter:innen: 509 von 517 Morden, die zwischen 2023 und 2025 verübt wurden.
  • Am 6. Mai warnten 55 Organisationen, dass die neuen Registrierungsmassnahmen Israels für internationale Nichtregierungsorganisationen eine ernsthafte Bedrohung für humanitäre Operationen und das Völkerrecht darstellen.
  • Am 1. Juli forderten mehr als 200 Organisationen sofortige Massnahmen zur Beendigung des tödlichen israelischen Verteilungssystems, einschliesslich des sogenannten «GHF» in Gaza, zur Rückkehr zu den bestehenden Koordinierungsmechanismen unter Führung der Vereinten Nationen und zur Aufhebung der Blockade der israelischen Regierung für Hilfsgüter und kommerzielle Lieferungen.
  • Am 23. Juli warnten über 100 Organisationen, dass unsere Kollegen und die Menschen, denen wir helfen, aufgrund der sich ausbreitenden Massenhungersnot in Gaza langsam verhungern.
  • Am 29. Juli schrieb die Integrierte Klassifizierung der Ernährungssicherheit (IPC), dass sich derzeit in dem Gazastreifen das schlimmste Szenario einer Hungersnot abzeichnet.
  • Israel hat stets bestritten, die Menge der in den Gazastreifen gelassenen Hilfsgüter zu beschränken, auch während des gesamten Zeitraums bis Juli 2025, in dem die meisten der in dieser Erklärung genannten Verweigerungen erfolgten.
  • Am 31. Juli schrieb das OHCHR, dass seit dem 27. Mai mindestens 1.373 Palästinenser:innen bei der Suche nach Lebensmitteln getötet wurden, davon 859 in der Nähe der «GHF»-Standorte und 514 entlang der Routen der Lebensmittelkonvois. Die meisten dieser Tötungen wurden von israelischen Streitkräften begangen.
  • Am 4. August wurde ein palästinensischer Krankenpfleger in Gaza getötet, als er von einem Luftangriff getroffen wurde.
  • Am 5. August wurde berichtet, dass die israelischen Behörden die vollständige Besetzung des Gazastreifens planen.
  • Am 6. August warnten UN-Organisationen und NGOs, dass ohne sofortige Massnahmen die meisten internationalen NGO-Partner in den kommenden Wochen von Israel registriert werden könnten.
  • Am 6. August kam die niederländische Datenschutzbehörde (DPA) zu dem Schluss, dass die Informationsanfragen Israels im Rahmen des INGO-Registrierungsverfahrens gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstossen könnten. Die DPA empfahl, dass INGOs diesen Anfragen nicht nachkommen sollten und dass die einzige Lösung darin bestehe, dass Israel seine Anforderungen ändert und die zuständigen Ministerien eine formelle Protestnote übermitteln.
  • Am 7. August veröffentlichte MSF einen Bericht, in dem es heisst, dass die von der sogenannten «GHF» durchgeführten Lebensmittelverteilungen in Gaza Orte «orchestrierter Tötungen und Entmenschlichung» seien, die eingestellt werden müssten.
  • Am 10. August meldete Save the Children den Tod von 100 Kindern, die seit Oktober 2023 in Gaza an Hunger gestorben sind.
  • Am 12. August veröffentlichte eine Gruppe von UN-Sonderberichterstattern für Menschenrechte einen Brief an die israelische Regierung, in dem sie ihre tiefe Besorgnis darüber zum Ausdruck brachten, dass die Massnahmen zur Registrierung von INGO «die Fähigkeit von INGO schwächen, unabhängig und unparteiisch zu arbeiten und ihre humanitäre und menschenrechtliche Arbeit ohne Einmischung oder Angst vor Repressalien auszuüben» und dass «die Verpflichtung, über INGO-Mitarbeiter:innen im Zusammenhang mit Besatzung, bewaffneten Konflikten und schweren Verstössen gegen das Völkerrecht Bericht zu erstatten, ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Schutzes und der Vergeltung aufwerfen könnte.»

Unterzeichnet von:

  1. Aktion gegen den Hunger (ACF)
  2. Eine neue Politik
  3. ACT Alliance
  4. Aktion für die Menschlichkeit
  5. ActionAid Dänemark
  6. ActionAid International
  7. All We Can
  8. Allianz Süd
  9. Amerikanischer Freundesdienst (AFSC)
  10. Americares
  11. Anera
  12. Versammlung für Zusammenarbeit für den Frieden
  13. Nicht länger Zuschauer
  14. Kampagne gegen Waffenhandel
  15. Kanadische Getreidebank
  16. CARE
  17. Caritas Internationalis
  18. Caritas Jerusalem
  19. Caritas Naher Osten und Nordafrika
  20. Caritas Schweiz
  21. Zentrum für jüdische Gewaltfreiheit
  22. Netzwerk für Wohltätigkeit und Sicherheit
  23. Kinder sind keine Zahlen
  24. Christliche Hilfe
  25. Kirchen für Frieden im Nahen Osten (CMEP)
  26. CISS – Internationale Zusammenarbeit Süd-Süd
  27. Komitee zum Schutz von Journalisten
  28. Kooperation Kanada
  29. COORDINADORA VALENCIANA ONGD
  30. DanChurchAid
  31. Dänischer Flüchtlingsrat (DRC)
  32. Abteilung für Dienstleistungen für palästinensische Flüchtlinge
  33. Diakonie
  34. Diakonie Katastrophenhilfe
  35. EDUCO
  36. Embrace the Middle East
  37. Notfall – Lebenshilfe für Opfer des Bürgerkriegs Ong Ets
  38. Entreculturas
  39. Forum Ziviler Friedensdienst e.V. (Pro Peace)
  40. Frieda – die feministische Friedensorganisation
  41. Freundeskreis für nationale Gesetzgebung (FCNL)
  42. Fonds für globale Menschenrechte
  43. Glia
  44. HEKS/EPER (Schweizerische Kirche und Ausland)
  45. HelpAge International
  46. Humanitäre Koalition
  47. Humanity Auxilium
  48. Humanity & Inclusion – Handicap International
  49. Humanity First UK
  50. INARA
  51. Einblick in Unsicherheit
  52. Internationale Entwicklungs- und Hilfsstiftung (IDRF)
  53. INTERSOS
  54. Islamische Hilfe
  55. Jahalin Solidarität
  56. Japanisches Internationales Freiwilligenzentrum (JVC)
  57. Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina JVJP Schweiz
  58. KinderUSA
  59. Stiftung Kvinna till Kvinna
  60. La Coordinadora de Organizaciones para el Desarrollo (Spanische Plattform der Nichtregierungsorganisationen für Entwicklung)
  61. Médecins du Monde France
  62. Médecins du Monde Internationales Netzwerk
  63. Ärzte ohne Grenzen (MSF)
  64. MedGlobal
  65. Medizinische Hilfe für Palästinenser (MAP)
  66. medico international
  67. Medico International Schweiz
  68. Mennonitisches Zentralkomitee (MCC)
  69. Nahost-Kinderhilfe
  70. MPower Change Action Fund
  71. Muslimische Hilfe
  72. NORWAC – Norwegisches Hilfskomitee
  73. Norwegische Kirchenhilfe
  74. Norwegische Volkshilfe (NPA)
  75. Norwegischer Flüchtlingsrat (NRC)
  76. Oxfam
  77. Palästinensischer Kinderhilfsfonds (PCRF)
  78. PANZMA – Palästinensisch-Australisch-Neuseeländische Medizinische Vereinigung
  79. PARCIC
  80. Pax Christi International
  81. Friedensbeobachter Schweiz
  82. Menschen in Not (PIN)
  83. Plan International
  84. Polnische Humanitäre Aktion (PAH)
  85. Portugiesische Plattform der Entwicklungs-NGOs
  86. Premiere Urgence Internationale (PUI)
  87. Projekt HOPE
  88. Relief International
  89. Recht auf Spiel
  90. Sabeel-Kairos UK
  91. Saferworld
  92. Rettet die Kinder International
  93. Islamische Hilfsorganisation Frankreich (SIF)
  94. Solidar Suisse
  95. Solidarités International
  96. SWISSAID
  97. Terre des Hommes Italien
  98. Terre des Hommes Lausanne
  99. Östliches Mittelmeer-Netzwerk für öffentliche Gesundheit (EMPHNET)
  100. Die Vereinigte Kirche von Kanada
  101. Gemeinsam gegen Unmenschlichkeit (UAI)
  102. Vento di Terra
  103. War Child Alliance
  104. Weltfriedensdienst e.V.