03.07.2025 - von Plan International

Gaza: Hungertod oder Schüsse - das ist keine humanitäre Antwort

Mehr als 160 Nichtregierungsorganisationen (NRO) fordern ein sofortiges Handeln, um das tödliche israelische Verteilungsprogramm (einschliesslich der so genannten Gaza Humanitarian Foundation) im Gazastreifen zu beenden, zu den bestehenden, von den Vereinten Nationen geleiteten Koordinierungsmechanismen zurückzukehren und die Blockade der israelischen Regierung für Hilfsgüter und kommerzielle Lieferungen aufzuheben.

Die 400 Verteilungsstellen für Hilfsgüter, die während des vorübergehenden Waffenstillstands im Gazastreifen in Betrieb waren, wurden nun durch nur vier vom Militär kontrollierte Verteilungsstellen ersetzt, wodurch zwei Millionen Menschen in überfüllte, militarisierte Zonen gezwungen werden, in denen sie täglich mit Schüssen und Massenunfällen konfrontiert sind, während sie versuchen, Zugang zu Nahrungsmitteln zu erhalten und ihnen andere lebensrettende Güter verweigert werden.

Heute stehen die Palästinenser:innen im Gazastreifen vor einer unmöglichen Wahl: Sie müssen verhungern oder riskieren, erschossen zu werden, während sie verzweifelt versuchen, an Lebensmittel zu gelangen, um ihre Familien zu ernähren. Die Wochen nach dem Start des israelischen Verteilungsprogramms waren einige der tödlichsten und gewalttätigsten seit Oktober 2023.

In weniger als vier Wochen wurden mehr als 500 Palästinenser:innen getötet und fast 4.000 verletzt, als sie versuchten, an Lebensmittel zu gelangen oder diese zu verteilen. Israelische Streitkräfte und bewaffnete Gruppen - von denen einige Berichten zufolge mit Unterstützung der israelischen Behörden operieren - eröffnen nun routinemässig das Feuer auf verzweifelte Zivilist:innen, die alles riskieren, nur um zu überleben.

Das humanitäre System wird durch die Blockade und die Restriktionen der israelischen Regierung bewusst und systematisch demontiert, eine Blockade, die nun als Rechtfertigung für die Einstellung fast aller anderen Hilfsmassnahmen zugunsten einer tödlichen, vom Militär kontrollierten Alternative dient, die weder die Zivilbevölkerung schützt noch die Grundbedürfnisse deckt. Diese Massnahmen sind darauf ausgerichtet, einen Kreislauf aus Verzweiflung, Gefahr und Tod aufrechtzuerhalten. Erfahrene humanitäre Akteure sind weiterhin bereit, lebensrettende Hilfe in grossem Umfang zu leisten. Doch mehr als 100 Tage, nachdem die israelischen Behörden erneut eine fast vollständige Blockade für Hilfsgüter und Handelswaren verhängt haben, kollabiert die humanitäre Lage im Gazastreifen schneller als je zuvor in den letzten 20 Monaten.

Nach dem neuen Plan der israelischen Regierung sind ausgehungerte und geschwächte Zivilisten gezwungen, stundenlang durch gefährliches Gelände und aktive Konfliktzonen zu wandern, um dann in einem gewalttätigen, chaotischen Wettlauf eingezäunte, militarisierte Verteilungsstellen mit einem einzigen Eingang zu erreichen. Dort werden Tausende in chaotische Gehege entlassen, wo sie um die begrenzten Lebensmittelvorräte kämpfen müssen. Diese Gebiete sind zu Schauplätzen wiederholter Massaker geworden, bei denen das humanitäre Völkerrecht eklatant missachtet wird. Unter den Toten sind auch Waisenkinder und Betreuer:innen, wobei bei mehr als der Hälfte der Angriffe auf Zivilisten in diesen Gebieten Kinder zu Schaden kamen. 

Da das Gesundheitssystem des Gazastreifens in Trümmern liegt, verbluten viele der Erschossenen allein, ausserhalb der Reichweite von Krankenwagen und ohne lebensrettende medizinische Versorgung.

Viele Familien berichten uns, dass sie angesichts des grossen Hungers und der hungerähnlichen Zustände zu schwach sind, um für Lebensmittelrationen zu kämpfen. Diejenigen, denen es gelingt, Lebensmittel zu beschaffen, kehren oft mit nur wenigen Grundnahrungsmitteln zurück, die ohne sauberes Wasser oder Brennmaterial zum Kochen kaum zubereitet werden können. Der Treibstoff ist fast aufgebraucht, so dass lebenswichtige Dienste wie Bäckereien, Wassersysteme, Krankenwagen und Krankenhäuser zum Erliegen gekommen sind. Familien suchen Schutz unter Plastikplanen und betreiben behelfsmässige Küchen inmitten der Trümmer, ohne Brennstoff, sauberes Wasser, sanitäre Anlagen oder Strom.

Dies ist keine humanitäre Reaktion.

Mehr als zwei Millionen Menschen auf engstem Raum zusammenzudrängen, um ihre Familien ernähren zu können, ist kein Plan zur Rettung von Menschenleben. Seit 20 Monaten sind mehr als zwei Millionen Menschen unerbittlichen Bombardierungen, der Bewaffnung mit Nahrungsmitteln, Wasser und anderen Hilfsgütern, wiederholten Zwangsumsiedlungen und systematischer Entmenschlichung ausgesetzt - alles unter den Augen der internationalen Gemeinschaft. Die Sphere Association, die Mindeststandards für die Qualität der humanitären Hilfe festlegt, hat davor gewarnt, dass der Ansatz der Gaza Humanitarian Foundation nicht mit den grundlegenden humanitären Standards und Prinzipien übereinstimmt.

Diese Normalisierung des Leidens darf nicht hingenommen werden. Die Staaten müssen die falsche Wahl zwischen tödlichen, vom Militär kontrollierten Lebensmittelverteilungen und der völligen Verweigerung von Hilfe ablehnen. Die Staaten müssen ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten einhalten, einschliesslich des Verbots von Zwangsvertreibungen, wahllosen Angriffen und der Behinderung humanitärer Hilfe. Die Staaten müssen sicherstellen, dass sie für schwere Verstösse gegen das Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen werden.

Wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern erneut alle Drittstaaten auf:

  • Konkrete Massnahmen zu ergreifen, um die erdrückende Belagerung zu beenden und das Recht der Zivilbevölkerung in Gaza auf sicheren Zugang zu Hilfsgütern und Schutz zu wahren.
  • die Geber aufzufordern, keine militarisierten Hilfsprogramme zu finanzieren, die gegen das Völkerrecht verstossen, die humanitären Grundsätze nicht einhalten, den Schaden noch vergrössern und die Gefahr einer Mitschuld an Gräueltaten bergen.
  • Wir unterstützen die Wiederherstellung eines einheitlichen, von den Vereinten Nationen geleiteten Koordinierungsmechanismus, der sich auf das humanitäre Völkerrecht stützt und das UNRWA, die palästinensische Zivilgesellschaft und die gesamte humanitäre Gemeinschaft einbezieht, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden.

Wir bekräftigen unsere dringenden Forderungen nach einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, der Freilassung aller Geiseln und willkürlich festgehaltenen Gefangenen, uneingeschränktem humanitärem Zugang in grossem Umfang und einem Ende der allgegenwärtigen Straflosigkeit, die diese Gräueltaten ermöglicht und den Palästinenser:innen ihre grundlegende Würde verwehrt.

Anmerkung der Redaktion

  • Am 15. Juni wurden in das Feldkrankenhaus des Roten Kreuzes in Al Mawasi mindestens 170 Patient:innen eingeliefert, die bei dem Versuch verletzt wurden, einen Ort der Lebensmittelverteilung zu erreichen. Am darauffolgenden Tag, dem 16. Juni, trafen mehr als 200 Patient:innen in der gleichen Einrichtung ein - die höchste Zahl, die bei einem einzelnen Massenunfall in Gaza verzeichnet wurde. Von dieser Zahl wurden 28 Palästinenser:innen für tot erklärt. Ein WHO-Beamter wies auf das tödliche Muster hin: «Die jüngsten Initiativen zur Verteilung von Nahrungsmitteln durch Nicht-UN-Akteure führen jedes Mal zu Massenunfällen».
  • Diese Todesfälle tragen zur allgemeinen Zahl der Opfer bei: Seit Oktober 2023 wurden in Gaza über 56.000 Palästinenser:innen getötet, darunter mindestens 17.000 Kinder.

 

Unterzeichnet von:

  1. Yesh Din
  2. ABCD Bethlehem
  3. ACT Alliance
  4. Act Church of Sweden
  5. Action Against Hunger (ACF)
  6. Action Corps
  7. ActionAid
  8. Age International
  9. Agricultural Development Association – PARC
  10. Al Ard for Agricultural Development
  11. Al-Najd Developmental Forum
  12. American Friends Service Committee
  13. Amnesty International
  14. Amos Trust
  15. Anera
  16. Anti-Slavery International
  17. Arab Educational Institute – Pax Christi Bethlehem
  18. Asamblea de Cooperación por la Paz
  19. Asociación de Solidaridad Internacional UNADIKUM
  20. Association for Civil Rights Israel (ACRI)
  21. Association Switzerland Palestine
  22. B’Tselem – The Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories
  23. BADIL Resource Center for Palestinian Residency and Refugee Rights
  24. Beesan Charitable Association
  25. Bimkom – Planning and Human Rights
  26. Bisan Center for Research and Development
  27. Botswana Watch Organisation
  28. Breaking the Silence
  29. Broederlijk Delen
  30. CADUS e.V.
  31. Caritas Germany
  32. Caritas International Belgium
  33. Caritas Internationalis
  34. Caritas Jerusalem
  35. Caritas Middle East and North Africa
  36. Center of Jewish Nonviolence
  37. CESIDA – Spanish Coordinator of HIV and AIDS
  38. Children Not Numbers
  39. Choose Love
  40. Christian Aid
  41. Churches for Middle East Peace (CMEP)
  42. CIDSE – International Family of Catholic Social Justice Organisations
  43. CNCD-11.11.11
  44. codepink
  45. Combatants for Peace
  46. Comité de Solidaridad con la Causa Árabe
  47. Congregations of St Joseph
  48. COOPERATIVE AGRICULUTAL ASSOCIATION
  49. Cordaid
  50. Council for Arab-British Understanding (Caabu)
  51. Coventry Friends of Palestine
  52. Cultures of Resistance
  53. DanChurchAid
  54. Danish Refugee Council
  55. DAWN
  56. Diakonia
  57. Ekō
  58. Embrace the Middle East
  59. Emmaüs International
  60. Entraide et Fraternité
  61. Episcopal Peace Fellowship Palestine Justice Network
  62. EuroMed Rights
  63. FÓRUM DE POLÍTICA FEMINISTA
  64. Friends Committee on National Legislation
  65. Friends of Sabeel North America (FOSNA)
  66. Fund for Global Human Rights
  67. Fundación Mundubat
  68. Gaza Culture and Development Group (GCDG)
  69. Gaza Society for Sustainable Agriculture and Friendly Environment (SAFE)
  70. German Platform of Development and Humanitarian Aid NGOs (VENRO)
  71. Gisha – Legal Center for Freedom of Movement
  72. Glia
  73. Global Centre for the Responsibility to Protect (GCR2P)
  74. Greenpeace
  75. HaMoked: Center for the Defence of the Individual
  76. Hands for Charity
  77. HEKS/EPER(Swiss Church Aid)
  78. HelpAge International
  79. Human Security Collective
  80. Humanité Solidarité Médecine (HuSoMe ONG)
  81. Humanity & Inclusion – Handicap International
  82. Humanity Above All
  83. INARA
  84. Independent Catholic News
  85. Indiana Center for Middle East Peace
  86. International Federation for Human Rights (FIDH)
  87. International NGO Safety Organisation (INSO)
  88. INTERSOS
  89. Islamic Relief Worldwide
  90. Jewish Network for Palestine
  91. Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina, JVJP
  92. Just Foreign Policy
  93. Just Treatment
  94. Kairos Ireland
  95. Kenya Human Rights Commission
  96. Kvinna till Kvinna Foundation
  97. Martin Etxea Elkartea
  98. Maryknoll Office for Global Concerns
  99. Médecins du Monde International Network
  100. Médecins Sans Frontières
  101. MedGlobal
  102. Medical Aid for Palestinians
  103. Medico International
  104. medico international schweiz
  105. Medicos sin fronteras (MSF – Spain)
  106. Mennonite Central Committee
  107. Middle East Children’s Alliance
  108. Mothers Manifesto
  109. MPower Change Action Fund
  110. Muslim Aid
  111. Mwatana for Human Rights
  112. Nonviolent Peaceforce
  113. Norwegian Church Aid
  114. Norwegian People’s Aid
  115. Norwegian Refugee Council
  116. Oxfam International
  117. Palestine Children’s Relief Fund (PCRF)
  118. Palestine Justice Network of the Presbyterian Church (U.S.A.)
  119. Palestinian American Medical Association (PAMA)
  120. Parents Against Child Detentions
  121. Partners for Palestine
  122. Partners for Progressive Israel
  123. PAX
  124. Pax Christi Australia
  125. Pax Christi England and Wales
  126. Pax Christi International
  127. Pax Christi Italy
  128. pax christi Munich
  129. Pax Christi Scotland
  130. Pax Christi USA
  131. Peace Direct
  132. Peace Watch Switzerland
  133. Penny Appeal Canada
  134. Physicians for Human Rights Israel
  135. Plan International
  136. Plataforma de Solidaridad con Palestina de Sevilla
  137. Plateforme des ONG françaises pour la Palestine
  138. Polish-Palestinian Justice Initiative KAKTUS
  139. Première Urgence Internationale
  140. Presbyterian Church (USA)
  141. Quixote Center
  142. Religious of the Sacred Heart of Mary – NGO
  143. ReThinking Foreign Policy
  144. Right to Movement
  145. Rumbo a Gaza-Freedom Flotilla
  146. Saferworld
  147. Saskatoon Chapter of Canadians for Justice and Peace in the Middle East
  148. Save the Children
  149. Scottish Catholic International Aid Fund
  150. Sisters of Mercy of the Americas – Justice Team
  151. Solsoc
  152. Stichting Heimat International Foundation
  153. STOPAIDS
  154. Støtteforeningen Det Danske Hus i Palæstina
  155. Terre Des Hommes International Federation
  156. Terre des hommes Lausanne
  157. Terres des Hommes Italia
  158. The Eastern Mediterranean Public Health Network (EMPHNET)
  159. The Israeli Committee Against House Demolitions (ICAHD UK)
  160. The Palestine Justice Network of the Presbyterian Church USA Bay Area
  161. The Rights Forum
  162. Union of Agricultural Work Committees-UAWC
  163. United Against Inhumanity (UAI)
  164. Universities Allied for Essential Medicines UK
  165. US-Lutheran Palestine Israel Justice Network
  166. Vento di Terra
  167. War Child Alliance
  168. War on Want
  169. Welthungerhilfe