Suba Umathevan als Kind
19.06.2019 - von os

Wenn das Ankommen ein Leben lang dauert

Derzeit befinden sich rund 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Wie sich das anfühlt, weiss Plan-Schweiz-CEO Suba Umathevan. Sie war als Zweijährige gezwungen, ihre Heimat Sri Lanka zu verlassen. Heute, am internationalen Flüchtlingstag, erzählt sie, warum die Flucht sie auch jetzt noch einholt.

1983 bricht in Sri Lanka der Bürgerkrieg aus. Das Leben vieler Tamilen teilt sich in vorher und danach. Niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass sich das Land über 25 Jahre in einem Schockzustand befinden wird. Die Menschen flüchten. Unter ihnen ist die damals zweijährige Suba Umathevan. «Ich kann mich kaum an unsere Flucht erinnern. Ich kann mir nur vorstellen, wie es für meine Mutter war, mit mir an der Hand vier Länder zu überqueren», erzählt sie. Im Mai 1985 begann auch ihr Danach: Der Vater schloss Frau und Tochter wieder in die Arme. Er lebte bereits seit zwei Jahren in der Schweiz. 

Flucht ins Ungewisse 

«Meine Eltern wollten Sri Lanka nie verlassen, doch aus unserem Leben wurde ein Überleben. Flucht war unsere einzige Hoffnung», erzählt die 36-Jährige. Obwohl ihre Heimat heute die Schweiz sei, kenne sie das Fremdheitsgefühl: «Neue Sprache, unerträgliche Kälte, neue Menschen – für die ganze Familie waren diese Umstände eine Herausforderung. Doch alles war besser, als unter ständiger Angst zu leben oder sogar zu sterben», sagt Umathevan. Für den Vater seien die ersten beiden Jahre unerträglich gewesen. Er verliess seine Grossfamilie, um Frau und Kinder aus dem Krieg zu holen.

Aus der Ohnmacht Kraft geschöpft

«In der Schweiz war ich sicher. Trotzdem prägte der Krieg mein Leben», erzählt Umathevan. Die Eltern seien ständig besorgt gewesen, der Tod täglich im Hinterkopf – mal seien es Verwandte, mal Bekannte gewesen. «Das Schwierigste für mich war, der Hilflosigkeit meiner Eltern zuzusehen. Sie waren machtlos und versuchten, ihre Verwandten durch finanzielle Hilfe in Sicherheit zu bringen». Diese Ohnmacht beeinflusste Umathevan. Das Helfen hat sie zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht.

Sie arbeitete für verschiedene Hilfsorganisationen, auch bei den UN. Heute ist sie Geschäftsführerin des internationalen Kinder- und Mädchenhilfswerks Plan International Schweiz. «Ich frage mich oft, was aus mir geworden wäre, wäre ich in Sri Lanka geblieben. Ich schätze mich sehr glücklich in der Schweiz. Viele Menschen haben nicht so viel Glück.» Vor allem Mädchen und junge Frauen seien in Krisen in Gefahr. Vielen drohe sexuelle Gewalt, Zwangsheirat und fehlende Bildung. Davor wolle Umathevan sie schützen, ihnen Sicherheit und Hoffnung geben.

Nach 30 Jahren: Flucht kehrt zurück

Das Leben im Danach bringe eigene Probleme: «Lange fühlte ich mich hier fremd, ich verstand nicht, warum ich anders war. Oft musste ich mir rassistische Kommentare anhören», erzählt sie und fügt an: «Das alles hat mich stärker gemacht.» Sie wolle die Menschen besser informieren. Denn: «Rassismus wird durch Unwissenheit verursacht.»

Umathevan verfügt über zwei Hochschulabschlüsse, ist CEO und wurde zu einer bekannten Moderatorin und Botschafterin. Oft kehre die Flucht in ihr Leben zurück. Vor einigen Wochen starb ihr Grossvater, den sie persönlich nie kennenlernen konnte. «In solchen Momenten ist man wieder voll drin im Flüchtlingsleben.» Im Alltag werde Vieles verdrängt und verschwiegen. Doch nicht dieses Mal: «Meine Mutter brach zusammen, als sie vom Tod ihres Vaters erfuhr. Die verlorenen 30 Jahre, in denen sie voneinander getrennt waren, kann sie nicht mehr zurückgewinnen», erzählt Umathevan.

Mit Würde begegnen

Wenn Umathevan Flüchtlinge, vor allem Mütter mit Kleinkindern, auf der Strasse sehe, werde sie traurig: «Am liebsten würde ich ihnen sagen, dass sie in Sicherheit sind und es schaffen werden.» Als Flüchtlingsmädchen hätte sie sich genau solchen Zuspruch gewünscht. «Oft fühlte ich mich einsam. Ob Schule oder Medien, es gab niemanden, mit dem ich mich identifizieren konnte. Niemanden, der meine Probleme verstand.» Wir müssen Flüchtlinge als Menschen sehen und ihnen mit Würde begegnen.